Alter, geöffneter Karteikartenschrank, der Häftlingskarten enthältDie Schauspielerin Kerstin Wittstamm von der Freien Bühne Wendland war mit dem Theaterstück „Hermine Katz und das ungeheure Wissen der Dachböden“ nun schon das zweite Mal am Herder-Gymnasium zu Gast und zeigte allen Siebtklässler*innen eine eindrucksvolle Inszenierung über Erinnerung, Verantwortung und Zivilcourage – Werte, die uns als mitarbeitende UNESCO-Projektschule sehr wichtig sind. Nach den Aufführungen hatten die Schüler*innen Gelegenheit, mit der Schauspielerin ins Gespräch zu kommen und Fragen zu stellen.

Im Mittelpunkt des Theaterstücks von Caspar Harlan steht die Lüchower Trödlerin Hermine Katz, die beim Entrümpeln eines Dachbodens zufällig auf das Einschulungsfoto der kleinen Liesel Mansfeld stößt. Dieser Fund lässt sie nicht mehr los. Sie beginnt nachzuforschen, wer das Mädchen war und was aus ihm geworden ist – und taucht dabei immer tiefer in die Geschichte der jüdischen Familie Mansfeld ein.

Einschulungsfoto von Lisel Mansfeld mit Schultasche - © Museum Wustrow NS ArchivDas Stück erzählt diese Suche auf sehr lebendige Weise: Wittstamm schlüpft in rascher Abfolge in unterschiedliche Rollen – mal ist sie die schüchterne Liesel, mal eine fröhliche Klassenkameradin, dann wieder ein misstrauischer Nachbar, ein Polizist oder der Bürgermeister von Lüchow. Durch wechselnde Stimmen, Haltungen und minimalste Requisiten gelingt es ihr, jede Figur klar erkennbar zu machen. Besonders eindrucksvoll sind Szenen, in denen sie Gespräche nachstellt, die Hermine Katz bei ihrer Recherche geführt haben könnte: etwa das stockende Erinnern einer älteren Nachbarin oder das peinlich berührte Schweigen eines ehemaligen Klassenkameraden, der von den Ausgrenzungen in der Schule erzählt. Einige der Texte sind zudem den originalen Verhörprotokollen entnommen, die Wittstamm bei ihren Recherchen gefunden hat. Auch mit der dadurch entstandenen Authentizität zog sie die Schüler*innen des Herder-Gymnasiums in ihren Bann.

Im Verlauf der Aufführung wird immer wieder deutlich, wie sich die Stimmung im Deutschland des Nationalsozialismus in der Gesellschaft veränderte: von anfänglicher Normalität über unterschwellige Abneigung bis hin zu offenem Hass und schließlich Gewalt. Das Stück zeigt nicht nur, was geschah, sondern auch, wie Menschen darauf reagierten – wer Mitgefühl zeigte, wer wegsah und wer bereit war, die Ausgrenzung der jüdischen Familien hinzunehmen oder sogar zu unterstützen. Gerade diese Perspektivwechsel machen die Inszenierung für junge Zuschauer besonders zugänglich.

Zeitlich ist die Aufführung bewusst an die Reichspogromnacht vom 09. auf den 10. November 1938 angelehnt. Ermöglicht wurde sie durch die Förderung des Lokalen Aktionsplans Minden. Die Freie Bühne Wendland richtet das Stück ausdrücklich an Schüler*innen ab Jahrgangsstufe 7, da Kinder und Jugendliche heute über soziale Medien immer früher mit faschistischen Symbolen und Haltungen konfrontiert werden – oft ohne deren historische Bedeutung zu kennen.

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